Mind-Wandering
Thomas, ein Freund, hält mir einen Der Spiegel entgegen: „Hier für dich, du befasst dich doch mit dem
Zeugs“, sagt er und tippt mit dem Finger auf den Titel. „Kontrenzier dich!“,
steht da. Ich sehe auf das Datum — Nr.11, vom 7. März 2015 —, bedanke mich und
sage: „Ist ja nicht mehr ganz so aktuell, die Ausgabe“, ergänze aber im
gleichen Atemzug, dass zwei Monate im Vergleich zu Büchern dieses Themas, die bereits
letztes Jahr erschienen sind, dann doch wieder recht aktuell ist, und
schließlich die erste der acht Living Dō-Triaden mit Konzentration beginnt (dann kommen Klarheit und Kontinuität).
Die Titelstory behandelt das Phänomen des Mind-Wanderings,
dem eher unbewussten Abschweifen unserer Gedanken und dessen Auswirkungen auf
unser Verhalten und Sein. Der Artikel beklagt, dass durch die Vermehrung der
digitalen Medien die Aufmerksamkeitsfähigkeit nachlässt, was negative Folgen in
allen Lebensbereichen nach sich zieht.
Mentales Hintergrundrauschen
„Alles vermengt sich zu einem Hintergrundrauschen aus
Erinnerungen, Bewertungen und kleinen Geschichten“, zitiert die Autorin Kerstin
Kullmann den Professor für Theoretische Philosophie an der
Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, Thomas Metzinger, und listet zu den
Inhalten des gedanklichen Abschweifens noch folgende auf:
- Spontan aufbrechende Erinnerungen
- Mehr oder weniger zwanghaftes Planen
- Wiederkehrende traurige Gedanken
- Neurotisches Denken (Schuldgefühle, die Beschäftigung mit
früheren Verfehlungen)
- Tagträume
- Sexuelle Fantasien
Jeder kann einmal für sich selbst gegenchecken, was davon
auf ihn persönlich zutrifft.
Wie machst du Denken?
Denken ist ein
komplexer neurologischer Prozess, über den ich mich (hier) nicht auslassen
kann. Wer sich näher damit beschäftigen will, dem sei das opulente Werk (624
S.) Schnelles Denken, langsames Denken
von Daniel Kahneman empfohlen. Auch der geschätzte Daniel Goleman, der 1995
das Buch EQ – Emotionale Intelligenz
publizierte, hat letztes Jahr zu diesem Thema Konzentriert Euch! - Eine Anleitung zum modernen Leben
herausgegeben. Wobei es naturgemäß
individuell entschieden wird, wie weit die Vertiefung in die Theorie betrieben
werden will; ein wesentlicher Indikator hierzu ist der Grad der praktischen
Umsetzung der Theorie in den Alltag. Nicht praktikable Theorie ist für das
Konzept und den Anspruch des Living Dō mehr oder weniger sinnlos.
Die höchste Instanz:
Das proaktive Handeln
Die Haupttriade der
acht Living Dō-Triaden besteht aus: Atmung
– Ausdruck – Aktion: Die Atmung leitet ein, der Ausdruck — Mimik und
Körpersprache bereitet vor, die Aktion ist das zielgerichtete Handeln; das kann
das Anklopfen sein zu einem Vorstellungstermin, oder das Ansprechen einer
fremden Person. Es ist immer das Handeln, das über alles entscheidet. In
letzter Konsequenz ist auch Nichthandeln Handeln; so wie der, der keine
Entscheidung trifft, trotzdem entscheidet. Dass es hier um aktives, besser proaktives
Gestalten geht, mit der Absicht
Hilfreiches und Förderliches zu schaffen, ist selbstredend.
Wenn ich nicht proaktiv handele und im Theoretisieren verhaftet
bleibe, ist wenig bis gar nichts gewonnen. Das gilt für alle Lebensbereiche.
Triadisches Denken vs. Mind-Wandering
Im Living Dō ist Denken
als ein Aspekt der 24 Aspekte aufgeführt. Es ist Bestandteil der 7. Triade
„Denken – Danken – Dienen“ und korreliert mit den Aspekten Konzentration, Klarheit,
Ordnung, Ruhe und Achtsamkeit.
Beim Triadischen Denken im Living Dō geht es darum, wie man
dem Mind-Wandering entgegentreten kann, ohne sich mental zu kasteien. Es geht
um das bewusst positive Ausrichten seiner Gedanken auf einen bestimmten Inhalt.
Denken und Fühlen lassen sich nicht trennen, aber unser Denken können wir
einfacher steuern als unsere Gefühle. Wenn wir denken, wirkt sich das auf
unseren Zustand aus. Dieser Zustand steuert wiederum unser Befinden. Und dieses
wiederum hat Einfluss auf unser Handeln. Das geht in beide Richtungen:
Schlechte Gedanken –> schlechte Gefühle –> schlechtes Handeln. Gute
Gedanken –> gute Gefühle –> gutes Handeln.
Meister, Knecht und Freund
Diese Kette ist eine
naturgemäße und zwingende Konsequenz. Das Verblüffende daran ist, dass wir es
tatsächlich in der Hand haben, Herr und Meister unserer Gedanken zu sein oder
das Gegenteil, ihr Knecht. Wem das zu polarisiert ist: es müssen nicht
unbedingt die Yin-Yang-Extreme Herr – Knecht
sein, es ist schon ein großer Erfolg, wenn man sich die eigenen Gedanken
zum Freund macht und sich mit ihnen zum Guten verbündet.
Das Triadische Denken ist eine einfache Methode seinen Geist
spielerisch mit positiven Gedanken anzufüllen. Es geht lediglich darum,
3-er-Assoziationsketten zu bilden, die mit einem vorgegebenen Begriff zusammenhängen.
Diese Ketten können vorzugsweise Alliterationen (Stabreime) seien, wie es eben
die acht Living Dō-Aspekte sind — z.B. Denken – Danken – Dienen oder Ruhe –
Rhythmus – Reduktion, oder eben Werte, die man dem Oberbegriff positiv
zuordnet.
Beim Aufzählen soll es natürlich nicht bleiben. Es gilt über
jeden einzelnen Begriff konzentriert nachzudenken. Das ist oft gar nicht so leicht. Als Hilfe
kann ein Timer dienen. Diesen auf eine Minute einstellen und dann versuchen, so
viele Assoziationsbegriffe wie möglich niederzuschreiben.
Triadisches Denken ist lediglich ein kleiner Baustein im Gesamtkonzept
des Living Dō.
Budō — Eine der besten Methoden gegen Mind-Wandering
Dem Mind-Wandering lässt sich auch durch andere Methoden
begegnen. Eine der besten davon bietet die Natur der Kampfkünste schlechthin:
Wer schweift mit den Gedanken ab, während er Kampfkunst praktiziert? Was beim Zazen
gang und gäbe ist, und wohl von fast jedem Zenji thematisiert wird, existiert
in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Körperlichkeit im Budō so gut
wie nicht. Wenn ich eine Kata übe, verschmelze ich mit der Bewegung; wenn ich
mit einem Partner übe, verschmelze ich mit der Technik. Würde ich abschweifen,
riskierte ich ein Misslingen der Technik oder gar einen schmerzvollen Treffer
des Gegners.
Diese Unmittelbarkeit, in der Ausführung und Ausführender
eins sind, bieten sonst nur Extremsituationen, die den ganzen Geist und den
Körper fördern, wie etwa Auto oder Motorrad fahren unter schweren Bedingungen (sehr
hohes Tempo, oder Großstadtverkehr, wenn man sonst nur das Zeitlupentempo des
Landlebens kennt), Arbeiten in großen Höhen; aber auch weniger gefährliches wie
Musizieren von anspruchsvollen Stücken, Thematisieren wichtiger Inhalte (Trennungsgespräch),
etc., etc. Im Grunde jede Tätigkeit, bei der Abschweifen fatale Konsequenzen nach
sich zöge.
Surfen im Netz, egal in welcher Variante, gehört dazu wohl eher nicht.