Gedanken 1
Ich
werde wach vor der Zeit. Das Display meines Miniradioweckers zeigt 4:00. Draußen
dämmert es, zumindest täuscht dies das bläulich-orange Licht vor, das von
Gaskessel und Güterbahnhof durch meine Fenster scheint. Der Versuch wieder einzuschlafen
misslingt; ich liege hoffnungslos wach — das Phänomen Gedanken hat mich im Griff.
Gedanken
sind ein großes Thema. Sie sind essentiell. Sie gehen mit den Gefühlen einher und bestimmen —
untrennbar mit ihnen verbunden — wie nichts anderes unser Leben. Vielen ist das
nicht bewusst.
80.000 Gedanken?
In
der Ratgeberszene herrscht bislang hartnäckig die Behauptung, wir denken am Tag
bis zu 80.000 Gedanken. 75 % davon seien belanglos, beziehungsweise die
wiederholten Gedanken des Vortages, 20 % davon seien negativ und nur 5 %
aufbauend.
Hat
das schon mal einer nachgeprüft, geschweige bewiesen?
Die
erste Zahlenangabe, die da so wissenschaftlich anmutend in den Raum geworfen
wird, ist erst einmal alles andere als das. Sie ist allenfalls eine hypothetische
Schätzung, gestützt auf einem mathematischen Konstrukt auf Grundschulniveau (4.
Klasse): "Wenn man die Dauer eines Gedankens auf 1 Sekunde festlegt, und man davon ausgeht, dass der
Mensch ununterbrochen 24 Stunden lang denkt, wie viele Gedanken ergibt das?"
Räumt
man manchen Gedanken mehr Zeit ein, oder dem Denker Momente des Nichtdenkens,
liest man dann Relativierungen wie „… zwischen 40.000 und 80.000 …“
Die
Aufteilung der Wertigkeiten der Gedanken in Prozent ist logischerweise ebenso unhaltbar
— wenn schon die Basisgröße auf einer hypothetischen Annahme beruht.
Wenn
dieses Zahlenspiel auch recht unwissenschaftlich ist, so erfüllt es zumindest einen
guten Zweck: Es veranschaulicht das enorme Volumen und die gewaltige Dauerpräsenz
unserer Gedanken.
Gedanken über
Gedanken
Unsere
Gedanken sind es wert, dass wir über sie nachdenken, besser, dass wir darüber
nachdenken wie wir mit Ihnen umgehen. Lenken uns die Gedanken oder lenken wir
sie? Sind wir gar Knecht unserer Gedanken oder deren Meister?